Bach als Publikumsmagnet für Groß und Klein

Böblinger Kantorei gab als Abschluss der 50-Jahr-Feierlichkeiten das „Weihnachtsoratorium“ als Doppelkonzert in der Kirche St. Maria in Böblingen


KREISZEITUNG Böblinger Bote vom 8.Dez.2009 (Bericht: Jan Renz, Foto:Annette Wandel)

Das Jubiläumsjahr zum 50. Bestehen der Böblinger Kantorei ging am Sonntag mit einer der bekanntesten Vertonungen der Weihnachtsgeschichte zu Ende: mit der Aufführung des Weihnachts-Oratoriums von Johann Sebastian Bach. Und dies gleich im Doppelpack: Einmal als Familienkonzert und einmal in klassischer Aufführungsweise.

 

BÖBLINGEN. Das sehr gut besuchte Kinder und Familienkonzert am Nachmittag sollte auch kleinen Konzertgängern die Möglichkeit geben, Zugang zu diesem Stück zu bekommen. „Wir wollen große Kunst für kleine Kinder machen“, bringt es Kantor Eckhart Böhm auf den Punkt, der das Konzert moderierte. Die Kantorei präsentierte das Stück in gekürzter und für Kinder verständlicher Form. Böhm bezog immer wieder das junge Publikum mit ein, stellte Fragen, ließ die Kinder mitsingen, erzählte Geschichten oder erklärte Instrumente. 

Bei der klassischen Aufführung war der Andrang noch größer. Die Schlange war so gewaltig, dass sich der Konzertbeginn um eine Viertelstunde verzögerte. Obwohl St. Maria eine geräumige Kirche ist, gab es schließlich kaum noch freie Plätze. Johann Sebastian Bachs „Weihnachtsoratorium“ ist nach wie vor ein Publikumsmagnet. Das Werk ist ein Klassiker, an dem sich die Menschen nicht satt hören können. 

Bach griff bei der Komposition auf frühere Werke zurück. Von der Güte vieler älterer Einfälle war er so überzeugte, dass er sie kurzerhand in sein Oratorium implantierte. Die Kunst der Überarbeitung hat Bach hier perfektioniert. Die Musik zum Eröffnungschor „Jauchzet, frohlocket! Auf preiset die Tage“ etwa stammt aus der ganz weltlichen Herkules-Kantate: „Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten!“ Bach hatte keine Scheu sich selber zu zitieren. 

 Helle Trompeten erschallten auch am Anfang des „Weihnachtsoratorium“ in St. Maria, das war ein verheißungsvoller Beginn. Anders als im ersten Teil von Händels „Messias“, wo auch ausgiebig gejauchzt und frohlockt wird, muss man nicht minutenlang auf den Chor warten, er ist gleich da. Und jubelt. Die Böblinger Kantorei unter Leitung von Eckhart Böhm verlieh diesem Anfang weiche Umrisse, vom Concentus Böblingen wurde sie lebhaft und präsent begleitet. Das Ensemble agierte nicht fehlerfrei, wird aber in jedem Jahr besser. 

Den genannten Größen gelang am Sonntag eine detailreiche, sehr runde Aufführung. Die Balance zwischen Chor und Orchester stimmte fast immer. Die Kantorei hatte an diesem Abend zahlreiche Ausfälle zu verkraften: Nicht einmal ein halbes Dutzend Tenoristen nahm hinter dem Orchester Aufstellung. Noch immer grassiert der Grippevirus. Der große Chor zeigte sich wandlungsfähig und den unterschiedlichen Anforderungen gewachsen. Sehr dicht etwa entwarf er das „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden“, es ist unerhört, welche Ausdrucksvielfalt Bach in zwei Zeilen zusammendrängt. 

 Die Kantorei konturierte das „Dazu den Satan zwingen“ sehr markig, das „Und letztlich Friede bringen“ durfte warm leuchten. Gerade die Choräle, jeder mit anderem Charakter, erklangen sehr ausdrucksstark. Laut Bachbiograf Christoph Wolff lassen insbesondere die Choralsätze des Weihnachtsoratoriums „ein neues Maß an polyphoner Raffinesse, Eleganz der Stimmführung und Unmittelbarkeit des Ausdrucks erkennen.“ 

 Damit war die Böblinger Kantorei nicht überfordert. Den konzentrierten Chorpartien stehen ausgedehnte Soloabschnitte gegenüber. Das Solistenquartett bereicherte die Aufführung, ohne dass die Sänger restlos begeisterten. 

Dem Bass Günther Haussmann etwa hätte man gelegentlich mehr Klang gewünscht. Alexander Efanov hatte anfangs Aussetzer in der Höhe, sang aber das vertrackte „Frohe Hirten, eilt“ sicher. Selbstbewusst agierten die Sopranistin Jeannette Bühler (mit überscharfer Höhe) und Sabine Schilling, die etwas streng klang. Die Altistin bewältigte das „Schlafe, mein Liebster“ gut. 

Überhaupt ist öfter vom Schlaf die Rede. Der gesamte Chor etwa soll dem Jesusknaben ein Lied zur Ruhe singen. Eingeschläfert wurde aber niemand. Obwohl nicht alles gelang, war es doch eine großartige, das riesige Publikum fesselnde Aufführung. Und für die Kantorei ein schöner Abschluss des an Höhepunkten reichen Jubiläumsjahres.